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Der Schlaf der Ewigen

Sued riss den Jungen an den Haaren hoch und zeigte ihn mir. Er war vielleicht zehn oder elf und beklagenswert unterernährt. Sueds Schlag hatte gesessen und der Kleine blutete. Ich spürte ein Kribbeln in meinen nackten Zehen. Die Anspannung schnürte mir den Hals ab. »Lass ihn doch laufen, Sued. Du siehst doch…«

»Nein, fuhr er herum. Das kannst du knicken!«

»Bitte!«, sagte der Kleine bevor er von Sued auf die Knie geworfen wurde und der die Gerte hob.

Sillia die helle, trächtige Stute war langmütig. Doch nun schnaubte sie erbost und tänzelte in der Ecke unter dem Fenster.

»Wenn du das nicht sehen willst, dann besorg mir in der Küche ein neues Frühstück! Mach dich vom Acker, Sandro, sonst bist du der nächste Kandidat!«

»Okay!« Die Münze in meiner Tasche glühte. Ich drehte mich zum Gehen und auf einmal ging alles ganz schnell. Sued hob die Gerte, der Kleine kreischte und ich machte auf dem Absatz kehrt, um dem Riesenbaby voll in den Arsch zu treten. Er kippte etwas und ich hatte Angst, er würde auf den Jungen fallen. Leider fing er sich nochmal und wandte sich zu mir. Seine runden Augen traten ihm fast aus dem Schädel: »Du bist tot, du Made! Weißt du das?«

»Jupp und du bist ein schmieriger, fetter Blutegel!«, richtete ich mich an Sued und an den Jungen: »Lauf!«

Die Bewahrer von Arbos

Wie weit kannst du schwimmen?

Eine Meerhexe mit Bodyschaming

Die Welt versinkt in den Fluten: Klimaerwärmung, Dauerregen und finstere Mächte sind los. Mittendrin Livy und Scarry und einige Leidensgenossen, die auf einem riesigen Boot erwachen, um nur eines zu beweisen, dass sie würdig sind zu überleben.

Aufbruch

Sie rissen in aller Frühe die weiße Tür auf und eine Frau mit auffällig hellem, glattem Haar und bronzefarbener Haut sagte: »Komm!« Ich stand auf, weil das seit langem das einzige, das ich wirklich wollte, war - nämlich hier raus. Der Typ nahm mich am Arm, als ob ich wegfliegen könnte. Er hatte rötliches Haar und einen akkurat gestutzten Bart, außerdem roch er nach Tabak. Das war durchaus ungewöhnlich, denn der war rar geworden. Manche hatten aber ganz adäquaten Ersatz aus rotem Seetang gefunden....
Ich stand auf dem hell erleuchteten Schiffsflur und kniff die Augen zusammen, als sie die Kabine des Jungen aufschlossen, der mit mir geredet hatte.
Obwohl ich die Augen zusammenkniff, entging mir nichts.
»Alder, er ist kleiner als ich!«, dachte ich mir, als ein verschreckter Jugendlicher mit recht dunkler Haut und wuscheligem Haar herausschlich.
Wie die meisten der zu redseligen Typen war er nichts Besonderes. Jedenfalls nicht auf den ersten Blick.
»Scarry also, der Name scheint Programm«, dachte ich und sah auf meine Füße.
Ich strich die kleinen Zöpfchen hinters Ohr, die ein krasses Eigenleben hatten.
»Hallo!«, flüsterte er und wendete sich um. Seine Augen strahlten krass grün. Ich wollte mal nicht so sein.
»Hallo!«, flötete ich, als die Aufpasser weitergingen.
Nach und nach gingen alle Türen im Flur auf.
Die Anzugträger traten vor, ich sah mich um, hinter uns gingen zwei Typen mit modernen Harpunen.
»Was zum Teufel…«
Der Tross setzte sich in Bewegung, ich analysierte die Lage. Ansonsten schienen die Jugendlichen ziemlich durchschnittlich zu sein. Zwei allerdings waren mir besonders ins Auge gefallen: ein blonder Hüne, der aussah wie ein wiedererweckter Wikinger und eine zierliche Asiatin, die von weiter weg, wie eine Neunjährige wirkte.
Wir gingen den Gang entlang und ich durchsuchte meine Gedanken nach Erinnerungen, wie ich hierhergekommen war. In meinem Kopf war wohl ein Kurzschluss. Ich bildete mir ein, dass das Licht flackerte und Leute in weißen Kitteln mich festhielten.
Doch da bekam ich einen Ellbogen in die Seite und der Wuscheltyp, der unbemerkt neben mich gekommen war, sagte: »Du hast hübsche Haare!«
Er roch nach Schweiß und dann tat er etwas, das man nicht tun sollte: Er fasste mich an. Er starrte aus seinen grünen Augen und nahm meine eigenwilligen Zöpfe in die Hand.
»Hey!«, giftete ich.
»Was?«
»Willste heute noch sterben?«
»Äh!«
Ich schlug seine Hand fort: »Das Berühren der Figüren…«
»Du, ich…«, er kratzte sich am Kopf, nun erst fiel mir auf, dass er die Spitzen seiner Wuschelhaare blau gefärbt hatte.
Ich steckte ihm meinen Finger unter das Kinn: »…mit die Pfoten…is verboten!«
»Und wieso fasst du mich dann an, Miss Dreadlock?«
»Na, weil du nach Veilchen duftest!«
Seine Augen änderten die Farbe und er schaute fort. Ich spürte einen kleinen Stich in meinem Magen.
Wir gingen eine schmale Treppe hoch. Nun spürte ich den Wellengang unter uns. Ich roch die Feuchtigkeit und das Salz. Das Meer rief mich.
»Ich hab Hunger!«, murmelte der Hüne vor uns mehr zu sich selbst. Da sah ich wie die kleine Asiatin ihm etwas zusteckte. Sie zwinkerte. Dann standen wir auf dem Deck des Schiffes.
Die ausgezehrte Sichel eines fahlen Mondes stand noch am Himmel. Wolken flossen um ihn herum, als sei er die einzige Konstante oder das einzige Grießklößchen in der Suppe.
Wir gelangten an ein riesiges Übungsbecken. Das Wasser starrte uns so grau an, wie die Wolken über uns.
Unter uns schwammen die Wesen, sie waren gigantisch, sie waren grausam und sie waren die Götter in dieser Welt. Mochten sich die Anzugträger aufpusten, mochten die Wächter ihre Sehnen spannen. Was sollte es schon?
Wer hier lebte und hier starb, lag nicht in ihrer Hand.
Wir traten an das Becken. Sein Wasser schien unergründlich und doch ruhig, während unter uns die Hölle los war.
Der Kahn lag verdammt ruhig.
Der Wikinger glotzte in die Brühe und kaute etwas. Und er sprach mit vollen Backen den einen Gedanken aus, den wir alle hatten:
»What to fuck!«
Zweite Legende
Wasser ist Leben, doch manchmal ist es auch der Tod.. Wasser hat einen eigenen Sinn und man spiegelt sich darin, aber oftmals kann man nicht bis zum Grund schauen.
Über ihr rollten die Wellen und der Wind pfiff ein Lied. Das war gerade so, wie sie es mochte.
Nicht dass sie ein Herz im eigentlichen Sinne gehabt, nicht dass sie eine Seele gehabt hätte.
Das hatten die Menschen. Stormy aber war nicht nur eine Hexe, eine Meerhexe, denn sie wusste, wie man die Gezeiten besang, sie kannte die Lieder. Das Lied des Sturmes kannte sie gut.
Hier, tief unten in ihrer Höhle, entdeckte sie niemand, doch sie selbst sah alles. In ihre Höhlenwand war ein rundgeschliffener Kristall eingelassen, der zeigte der Besitzerin die Orte, die sie zu sehen wünschte: Das übriggebliebene Festland, die Armen, die Reichen und einen Ort, den sie besonders hasste, Marildian, den Palast des Meergottes Zamza.
Stormy ließ ihren Kopf hängen, ihre Haare, die wie Seegras schienen, wehten in der Strömung, ihre Haut war grün und pockig wie die einer Kröte.
Stormy stöhnte.
»Wieso so trübsinnig, meine Herrin?«, fragte Siebter, der Seeteufel. Siebter war grau zerfleddert und hässlich und es ging ihm an der Schwanzflosse vorbei.
»Ach Siebter, du niedliche Ausgeburt des Tartos!« Der Seeteufel kam näher und sie
kraulte ihm die Auswüchse um seine Schnauze.
»Bin ich etwa nicht schön?«, sie versuchte sich im Kristall anzusehen.
»Doch in meinen Augen bist du schön, Ihro
Mächtigkeit!« Siebter schubberte seinen pockigen Körper an ihrem Arm.
Sie sah auf ihre mit Schwimmhäuten bestückten Finger: »Und bin ich nicht magisch?«
»Ihr seid die Magie selbst!«
Sie sah auf ihren Hinterleib, der unförmig wie der einer Seekuh war.
»Bin ich etwa nicht ganz und gar geschmeidig, mein Bester?«
»Ihr seid geschmeidig wie eine klitzekleine Feuerqualle!«, säuselte Siebter.
Sehnsüchtig sah Stormy in ihren Kristall und der wusste alles und zeigte den Palast Marildian,, der glomm golden und strahlte warmes Licht aus. Sanfte Klänge waren um ihn her und schillernde Nixen schwammen ein und aus.
»Das musst du ja sagen, denn ich habe dich erschaffen und wenn du die Wahrheit nur ansatzweise aussprichst, dann weißt du, das dich bald die Aale fressen und ich hätte einen Neunter.«
»Herrin, dennoch bin ich aufrichtig. Und seit wann gibt es eine Wahrheit? Außerdem müsst ihr beginnen, auch gerade Zahlen zu zählen.«
»Gerade Zahlen? Pfui Deiwel! Wenn ich sie sehe, schwimme ich um sie herum.«
»Ach, Herrin!«
»Hexen sind sehr abergläubisch, mein Schnuffelchen! Also meine Uroma hat immer gesagt: Immer spucken, niemals zucken!«
»Trau schau wem!«, Siebter schwamm zu seiner Schlafhöhle.
»Bringt mir die Walfischtrommel, denn ich bin betrübten Sinnes, ihr Seeigel!«
Die bunten Seeigel sprangen vom Sims: »Hui! Hui!«
»Geschwind, ihr Schalenkinder, eure Herrin muss traurige Gesänge anstimmen und einen Trommelzauber vollführen.«
Die Schar Seeigel brachten gehorsam eine überdimensionale Trommel herbei. Die Hexe begann mit riesigen Walfischknochen auf die sie einzuschlagen: »Waru…hu…hum bin
iiiich…nihihicht schön? kuri-e yyyyeehe hhhihuhhhuuu!«
Die Seeigelchen heulten im Chor und von fern
fielen ein, zwei Wale mit ein.
»Nein, bitte nicht schon wieder!!!«, stöhnte Siebter.

Auferstehung

Warme Finger streiften mein Gesicht. Es gab nur eines, was sicher war in meiner Welt: Alles war ständig in Bewegung, nichts blieb gleich. Auch wir Menschen taten dies nicht. Denn unsere Welt war auf Wasser gebaut und Wasser hatte keine Balken. Vor meinen geschlossenen Lidern lag der Sonnenuntergang und mein Name erreichte mich nun recht warm und seltsam. Auf meiner Stirn war eine Hand und diese Hand strahlte etwas Warmes aus. Die Wärme drang durch meine Stirn in mich und erfüllte meinen geschundenen Körper. Ich schmeckte Salz auf meinen Lippen – wie sollte es auch anders sein?