Es ist nicht jeder Gold, der glänzt

 

 

Blaue Blume

Am Rande der Anderswelt, nahe der Prophezeiung, lagen Orte, die jene, welche noch durch das Leben reisen nie sehen konnten. Sie verstecken sich hinter einem Vorhang, durch den man nur nach dem Ableben schritt, ab und zu schaffen es aber auch fleißige Träumer.

  Dort erstreckte sich ein Urwald mit Bäumen so alt wie die Welt. Ihre Wipfel waren so hoch, dass sie das Firmament kratzten. Ihre Wurzeln waren so tief, dass sie in die Unterwelt ragten. Zwischen all diesen Bäumen und umringt von Büschen und Blumen jedweder Art stand der sagenumwobene Turm Methalphar, in ihm thronten einige der zahlreichen Götter.

 Doch nicht nur die hellen Götter, jene zu denen die frommen Menschen beteten, waren hier zuhause, sondern auch die dunklen. Tief unten in den Gewölben des Turmes Methalphar, dort wo der Tartos beginnt, hatten sie ihren Sitz.

 Vor dem Turm Methalphar schien die Sonne, die Blüten dufteten und freche Schmetterlinge versteckten sich in ihnen. Auf der anderen Seite erstrecken sich die Nonex- Sümpfe. Der Nonex war ein dunkler, träger Fluss, in ihm schwamm manch üble Kreatur und es fanden die Sterbenden durch ihn den Eingang zum Tartos, der Unterwelt.

Wie in jedem anderen Sumpf entstanden auch in den Nonex-Sümpfen ab und zu Blasen, die stiegen auf und platzten knapp über der Wasseroberfläche. Aus ihnen schlüpften die Götterhelfer, der dunklen Götter. Einer davon war Chiri-Piri.

Schien auf der anderen Seite ein Sonnenstrahl auf einen Tautropfen und ließ ihn schier explodieren, so kam ein heller Götterhelfer zur Welt. Einer davon war Chupsilla.

Durch ein launiges Geschick wurden Chiri-Piri und Chupsilla zur gleichen Zeit geboren. Und während Chupsilla durch den Vordereingang an den heiligen Ratten vorbei in den Turm Methalphar eilte und Chiri-Piri durch den Hintereingang dasselbe tat, da stießen sie zusammen und wie alles, was jung war, lachten sie.

Chiri-Piri wusste nicht, dass er eigentlich böse sein sollte und er half Chupsilla auf. Da war ihre Verbindung komplett und sie versprachen sich, wann immer ihnen ihre Aufgabe die Zeit ließe, miteinander zu spielen. Und das taten sie. Chiri-Piri hatte bereits zu Anfang fiel zu tun. Er half die vor der Pforte des Tartos aufgereihten Sünder entsprechend zu bestrafen. Auch wenn er zwischen den Daumenschrauben und den Hammerhieben nur wenig Zeit hatte, vergaß er seinen Freund nicht.

Chupsilla lernte von Modera, dem Gott der Ernte, Pflanzen wachsen zu lassen und von Lia, der Göttin des Lichtes, lernte er einen Lichtstrahl zu bändigen.

Die Freunde trafen sich im Garten und versteckten sich auf den zugewachsenen Wegen, sie kletterten auf die hohen Bäume und legten sich in die Astgabeln, um auf die Welt herab zu sehen. Dies war ihr Geheimnis. Bei einem dieser Treffen ließ Chupsilla eine Zucker-Karotte entstehen. Diese hatte er nur für Chiri-Piri gemacht, es war eine Mischung zwischen Karotte und Lutscher und er schenkte sie ihm.

Chiri-Piri sah lustig aus. Er hatte etwas von einem Pelztierchen mit vielen wuscheligen Haaren und spitzen Zähnen, die über seine Unterlippe ragten.

Chiri-Piri sagte: »Wir wollen für immer zusammen sein!« Sein Freund nickte.

Chupsilla hatte eine bronzene Hautfarbe und sein Haar war hell wie Silber. Sein Freund wollte ihm auch etwas schenken. Doch er hatte nur gelernt, Schmerzen zu erschaffen und so berührte er ihn an der Brust und er schenkte ihm einen klitzekleinen Schmerz.

Chupsilla riss die Augen auf: »Was hast du…?«

Es war ganz und gar ungewöhnlich, dass Wesen wie sie so etwas fühlten und was er fühlte, nennt man Eifersucht.

 

Die Götter durften niemals von dieser Verbindung erfahren. Sie war in etwa so als schütte man Milch in Kaffee, denn das bekommt man nie wieder auseinander.

Gut, Götter sind Götter und theoretisch könnten sie alles wissen, aber praktisch waren sie einfach zu selbstverliebt und es interessierte sie manches einfach nicht.

Während Chiri-Piri sich weiter um die Sünder kümmerte, lernte Chupsilla so manchen Göttertrick und nebenbei noch Harfe spielen.

Da geschah etwas ganz und gar Fantastisches. Es wurde ein goldenes Kind geboren. Dies geschieht nur einmal von Ewigkeit zu Ewigkeit. Alle waren in Aufregung. Die hellen Götter jubilierten und jauchzten, die dunklen zischten und grummelten, denn solch ein Kind versprach die Rettung der bekannten Welt.

 Allerdings wäre dieses Kind erst nach Ablauf einer Mondreise unantastbar und in der Lage in die Menschenwelt zu gelangen, doch so lange mussten die hellen Götter es schützen. Es lag bei ihnen in einer weißen Wiege und immer hielt einer Wache.

Der dunkle Fürst höchstselbst ärgerte sich. Chiri-Piri hörte, wie er zu Tarturro, dem Gott der Qual, sagte: »Höre, mein Getreuer! Wir müssen etwas unternehmen! Dieses Kind ist mir ein Dorn im Auge! Nicht auszudenken, wenn es die Menschenwelt rettet. Die Menschen wären freier, ihre Augen offener und sie würden uns erkennen.«

»Ja, Herr! Doch was sollen wir tun? Wir können die Schwelle zur „Hellen Etage“ nicht überwinden.«

Auf einmal schnüffelte der Höllenfürst mit seiner kleinen, narbigen Nase in der Luft.

Er sog die Witterung ein, wandte sich um und sein Blick fiel auf Chiri-Piri: »Duuuu!«

Der ließ vor Schreck den Vorschlaghammer, mit dem er einem Klienten die Glieder zertrümmern wollte, fallen und dieser fiel demjenigen auf den Fuß. Der jaulte.

Chiri-Piri ging tapfer zu dem Höllenfürsten, sah allerdings zur Erde. 

»Was bist du?« »Ich bin Chiri-Piri, Götterhelfer dritten Ranges.«

»Nun, was meinst du?«, fragte Zesiel, wie der Höllenfürst hieß, seinen Götterkollegen Tarturro.

Der Gott der Qual, fasste sich an sein spitzes Kinn: »Er ist halt ziemlich klein. Aber vielleicht fällt er dadurch nicht so auf da oben.«

»Gut gesprochen, Freund! Und du!«, knurrte er Chiri-Piri an. Der arme Tropf zitterte

und erlernte in diesem Moment das Gefühl der Angst.

»Ja, Herr!«

»Von dir erwarte ich vor Ablauf dieser Mondreise das goldene Kind. Schaffst du dies nicht, werfe ich dich höchstpersönlich in den Nonex-Sumpf, wo du herkommst, du Otterngezücht.«

Chiri-Piri hatte 1000 Fragen im Kopf, doch durch den Schleier der Angst sah man nicht gut und alle Worte gingen auf dem Weg zu seinem Mund verloren.

» Gelingt es dir aber, so verleihe ich dir telepathische Kräfte, Doljeste genannt und sie machen dich mächtig!«

 

Nun war guter Rat teuer. Als Chiri-Piri sich mit seinem Freund Chupsilla traf, schmeckte ihm nicht einmal die Zucker-Karotte und er seufzte während sie die Fledermäuse auf der Jagd beobachteten.

Chupsilla griff in die Harfe und sang. »Zesiel will von mir das goldene Kind, sonst kann ich mich einsalzen lassen und ich hab Angst!«, vertraute Chiri-Piri ihm an.

»Wie Angst? Was ist das?« Da berührte Chiri-Piri seinen Freund mit seiner ganz besonderen Art und Erkennen ging über dessen Gesicht.

 

»Ich habe eine Idee«, sagte dieser. »Auch ich bin zur Wache bei dem Kind eingeteilt, doch dies tue ich gemeinsam mit Bruschetta, der Göttin des guten Geschmacks und wenn ich ihr erzähle, was es in der Küche alles zum Schlemmen gibt, so bin ich die alsbald los.«

» Danke, mein Freund! Aber wie soll ich hinaufgelangen?«

»Versteck dich nur unten in der Waschküche im Korb und ich trage dich.«

 

Gesagt, getan: Am nächsten Morgen gelangte Chiri-Piri in die Waschküche und versteckte sich dort in der weißen, duftenden Bettwäsche für das goldene Kind.

Der Korb wurde angehoben und es dauerte sehr lange bis er wieder abgestellt wurde.

Außerdem ruckelte es so sanft hin und her und Chiri-Piri hatte in seiner Angst so schlecht geschlafen, dass er nun einen sonnigen Traum träumte.

Er träumte, er müsse gar nicht schlecht sein und er müsse auch nichts tun, was Zesiel von ihm verlangte, er träumte weiter, er hätte die Entscheidung und wisse, was richtig und falsch sei, weil er, Chiri-Piri, wie Milchkaffee sei und alles hatte sich in ihm vermischt.

Der Korb wurde abgestellt und es blieb ruhig. Der kleine Götterhelfer steckte seine vorwitzige Nase aus der Bettwäsche und es roch nach Sonne.

Sein kleines Herz klopfte. Da bekam Chiri-Piri noch mehr Angst: Herz?

Wo war denn das plötzlich hergekommen?

 

 Da hob er die Decke, unter der er verborgen lag, an und er erblickte, das Licht selbst. Langsam ging er, wie geblendet, auf das Licht zu und er streckte seine pelzigen Finger danach aus. Nun spürte er einen kleinen Kopf mit Haaren und einer winzig kleinen Nase.

Chiri-Piri war in dem Licht verschwunden und nicht alle hätten ihm folgen können.

Er fühlte die kleine Nase und kitzelte sie mit seiner pelzigen Hand. Plötzlich erscholl ein Niesen und gleich darauf ein Lachen. Das Kind öffnete die Augen.

Tief drin in Chiri-Piri wurde es warm und er lernte das Gefühl der Liebe kennen.

Das Kind lachte immer weiter und der Götterhelfer. Chiri-Piri nahm seine kleinen Hände, da explodierte etwas in ihm. Zesiel war weit fort, die Nonex- Sümpfe vergessen.

 

Er hatte das Kind auf den Arm genommen und flüsterte ihr in ihr kleines, goldenes Ohr:

»Ich nenne dich Re-Re und ich will dich beschützen!« Kam es ihm nur so vor oder hatte die Kleine genickt.

Plötzlich wurde es etwas dunkler im Raum und eine wohlbekannte Stimme sprach:

»Wo hängts Kumpel? Lass sie uns in den Korb stopfen und zu Zesiel schaffen,

  denn ich will dich nicht verlieren.«

Chiri-Piri drehte sich langsam zu seinem Freund: »Chupsilla, ich habe dich schon verloren. Warum?«

 Er sah, wie die Eifersucht, dieser winzige Schmerz, seinen Freund verändert hatte.

»Warum fragst du? Ich bin hell. Doch bin ich hell genug? Ich bin nicht so wie sie.

   Wieso kann ich nicht die Welt retten?«

»Dinge sind wie sie sind!«, erklärte Chiri-Piri und wiegte die Kleine. »Aber nur weil du nicht die Welt retten kannst, willst du sie umbringen?«

»Gib sie mir! Ich bringe es zu Ende!«

»Nein!« Mit dem Kind im linken Arm, gab er Chupsilla mit der Rechten einen derartigen Rand, dass dieser umfiel und er flüchtete samt Kind durch den lichtdurchfluteten Flur des ebenso lichtdurchfluteten Obergeschosses. Eine wohlproportionierte Nymphe hielt sich die Hände vor den Mund, ein Gott mit akkuratem Bart verfolgte ihn.

Überall kamen Götter gerannt, es gab Geschrei.

»Wohin? Wohin?« Das Kind blickte zur linken Wand, wo Chiri-Piri einen engen Tunnel entdeckte. Und just in dem Moment, als etwa 20 Finger nach ihm griffen, da sprang Chiri-Piri, der kleine, dunkle Götterhelfer samt goldenem Kind in dieses Loch hinein.

 Sofort stürzte er mit einem Affenzahn und das Kind hielt er dabei fest an seiner Brust.

Er betete zu Eradi während er fiel und vermutete, dass er sterben würde. Da er im Beten nicht eben geübt war, ging sein Gebet eher so: »Hallo Eradi, Erdmutter. Ich bin es Chiri-Piri, ich sollte eigentlich dunkel sein, aber ich schaffe es nicht, weil ich irgendwie wie Milchkaffee bin. Rette Re-Re!«

Ob es mit Eradi zu tun hatte oder nicht, wusste niemand. Chiri-Piri war in den Abfallschacht gesprungen und hart gelandet. Jetzt schlief er.

Als er erwachte sah er den Höllenfürsten über sich. Hier war alles so düster.

Chiri-Piri sollte bald erfahren warum.

»Gut gemacht, kleines Pelztierchen«, lobte der Herr der Unterwelt, »Verdammt  erstaunlich regelrecht!«, er ließ seine spitzen Zähne blitzen.

Der kleine, dunkle Götterhelfer rappelte sich auf.

»Und hier ist mein Geschenk!«, erklärte Zesiel weiter.

Er gab ihm seine, mit Krallen besetzte, Hand. Chiri-Piri fühlte sich, als träfe ihn ein Blitzschlag und vor seinen Augen erschien seine Flucht. Er fühlte sich benommen.

Zesiel sah auf etwas hinab: »Lasst sie dort liegen! Meine Dämonen werden sie abholen!« Dann war er fort.

 Chupsilla stand zu seiner Linken und grinste böse:

»Das hast du wirklich richtig gut gemacht! Respekt, mein Freund!«

 

»Was hast du getan? Was?« Chiri-Piri erkannte das goldene Kind. Ihr Licht war erloschen, in seinem Herz entstand ein Strudel, ein unstillbares Verlangen und Sehnsucht nach etwas, das er gar nicht hätte kennen dürfen.

Der kleine, pelzige Helfer richtete sich auf und wendete sich gegen seinen glänzenden Freund Chupsilla.

In diesem Moment lernte Chiri-Piri das Gefühl der Wut kennen. Und dieses Gefühl machte ihn stark. »Was hast du getan, du Hundsfott? Was?« Er gab dem hellen Götterhelfer einen derartigen Rand, dass er gegen die Wand geschleudert wurde und liegen blieb.

Chiri-Piri griff zum Hammer, seinem Arbeitsmaterial: »Du denkst, du bist groß? Das bist du nicht! Du denkst, du bist hell? Das bist du nicht!«

Chupsilla grinste dümmlich, wie alle, die erkennen, dass das, was sie erreichen wollten nicht echt war. Chiri-Piri schwang den Hammer. Er zielte auf den Kopf seines ehemaligen Freundes. Es würde ein Leichtes werden. »Du bist gar nichts! Du bist nicht mal Milchkaffee!«

Aber als Chiri-Piri den Hammer treffen lassen wollte, da bekam er einen Stich, dorthin, wo Menschen ihr Herz haben und er ließ den Hammerkopf knapp neben Chupsillas Kopf in die Wand einschlagen.

Der arme Chiri-Piri ließ sich auf die Knie fallen, denn in diesem Moment lernte er das Gefühl der Trauer kennen.

Das Licht des Kindes war erloschen, doch Chiri-Piris Herz brannte.

 Er kroch zu ihr und beugte sich über sie. Er küsste ihre Nase mit seinem pelzigen Mund: »Re-Re, es tut mir so leid! Es tut mir leid!«

Und dann tat Chiri-Piri etwas Heldenhaftes: Er weinte. Er weinte um das goldene Kind, er weinte um die Welt und um eine ungewöhnliche Freundschaft.

Seine Tränen tropften auf die goldene Nase des Kindes und Zesiel war weit, der Tartos war weit und Chiri-Piris Brust war eng.

Doch plötzlich spürte er unter seinen pelzigen Fingern ein leichtes Vibrieren und es wurde irgendwie wärmer. In Chiri-Piris Ohren klang ein zartes Bummbadibumm.

Da explodierte in Chiri-Piris Brust ein Kribbeln und Hitze floss durch ihn hindurch.

Das war der Moment, in dem er das Gefühl der Freude kennen lernte.

 

Und mit einem Mal wurde es hell.

 

 

 

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